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„Sozialismus durch die Hintertür?“ – Arbeitgeberpräsident Dulger warnt vor ausuferndem Sozialstaat

Seit 2020 steht Rainer Dulger an der Spitze der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Im Interview mit dem Handelsblatt bezieht er klar Stellung zu zentralen wirtschaftspolitischen Fragen – von Steuersenkungen über Sozialabgaben bis zur Rentenpolitik.

 

Investitionsbremsen lösen – Bürokratie abbauen

Die angekündigten Steuersenkungen bewertet Dulger positiv, auch wenn sie spät kommen: „Sie gehen in die richtige Richtung.“ Eine seiner zentralen Forderungen: Das nationale Lieferkettengesetz müsse sofort gestrichen werden. Besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) litten unter der damit verbundenen Bürokratie.

50%

weniger Investition wegen Bürokratie

Laut einer KfW-Studie beklagen über 50 % der mittelständischen Unternehmen, dass Bürokratie ein wesentliches Investitionshemmnis darstellt. Jede zweite Firma investiert laut DIHK aktuell weniger aufgrund regulatorischer Unsicherheiten.

Der Bürokratieabbau gehört seit Jahren zu den zentralen politischen Versprechen – doch in der Realität hat sich die Lage vielerorts verschärft. Laut dem Nationalen Normenkontrollrat ist der Erfüllungsaufwand für Unternehmen seit 2019 nicht gesunken, sondern sogar weiter gestiegen. Besonders die Umsetzung von EU-Vorgaben, wie dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder ESG-Berichtspflichten, hat zusätzliche Berichtspflichten geschaffen. Eine ifo-Umfrage von 2023 zeigt: 87 % der deutschen Unternehmen empfinden die Bürokratie als wachsendes Problem. Trotz zahlreicher Ankündigungen ist es der Politik bislang nicht gelungen, den Bürokratieberg abzubauen – im Gegenteil: Viele Unternehmen fühlen sich durch Formulare, Nachweispflichten und digitale Insellösungen zunehmend ausgebremst.




 

„Die Staatsquote droht die 50 %-Marke zu sprengen“

Dulger übt scharfe Kritik am Sozialstaat: „Wir sind kurz davor, eine Staatsquote von über 50 % zu erreichen.“ Ein solches Niveau – aktuell liegt die Staatsquote laut Statistischem Bundesamt bei rund 49,7 % – sei laut ihm der Einstieg in den Sozialismus. Ein Zitat von Helmut Kohl verleiht seiner Mahnung Nachdruck.

Er fordert eine umfassende Prüfung aller Sozialleistungen: „Wir müssen ehrlich fragen, ob jede Leistung noch zeitgemäß ist.“

Sozialabgaben: „Nettoklau bei den Beschäftigten“

Besonders alarmierend sei die Entwicklung der Sozialabgaben: „Wir bewegen uns auf die 45 %-Marke zu – das ist ein Nettoklau.“ Zum Vergleich: Im Jahr 2010 lag die Gesamtsozialabgabenquote in Deutschland noch bei rund 39,5 %. Aktuell liegt sie laut BMF bei etwa 42,4 % – mit steigender Tendenz. Die Belastung für Arbeitnehmer wachse kontinuierlich, ohne dass sich das Nettoeinkommen entsprechend erhöht.

 

„Digitalisierung statt Bürgergeld-Kosmetik“

Für Dulger reicht eine Umbenennung oder leichte Anpassung des Bürgergeldes nicht aus: „Wir brauchen strukturelle Reformen.“ Vor allem in der Verwaltung könne durch konsequente Digitalisierung massiv gespart werden. Aktuell geben die Jobcenter jährlich rund 3,6 Milliarden Euro für Verwaltungskosten aus – eine Zahl, die laut Dulger deutlich zu hoch sei.

▶︎ Digitalisierung im Koalitionsvertrag

 

Rentenpaket II: „Das teuerste Sozialgesetz des Jahrhunderts“

Auch die Rentenpolitik steht in der Kritik: Das geplante Rentenpaket II der Bundesregierung koste den Staat laut Prognosen bis 2030 über 500 Milliarden Euro. Dulger bezeichnet es als „teuerstes Sozialgesetz dieses Jahrhunderts“.

Besonders kritisch sieht er die Ausweitung der Mütterrente, für die nie Beiträge gezahlt worden seien. Das sei weder generationengerecht noch nachhaltig finanziert. Er wartet zudem gespannt auf die angekündigte Rentenkommission, „die ihre Arbeit bis heute nicht aufgenommen hat“.

 

Zusammenfassung

Rainer Dulger warnt vor einer Überdehnung des Sozialstaats und mahnt zu mehr ökonomischem Realismus. Seine Forderungen nach Bürokratieabbau, Digitalisierung und einer Überprüfung der sozialen Sicherungssysteme treffen den Nerv vieler Unternehmer.

Ob die Bundesregierung diesen Weckruf ernst nimmt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen – entscheidend wird sein, ob Wachstum wieder in den Fokus rückt, statt immer neue Leistungen zu versprechen.

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Von Chris