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Deutsche Industrie – 114.000 jobs weg in nur 12 Monaten

Die deutsche Industrie steckt tiefer in der Krise, als vielen bewusst ist. Laut einer aktuellen Auswertung auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts waren zum 30. Juni nur noch 5,42 Millionen Menschen in der Industrie beschäftigt – 2,1 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Das entspricht rund 114.000 gestrichenen Stellen. Seit dem Vor-Corona-Jahr 2019 summiert sich der Rückgang der Industriebeschäftigung auf etwa 245.000 Jobs ( -4,3 Prozent).

Besonders hart trifft es die Vorzeigebranche des Landes: In der Autoindustrie gingen innerhalb eines Jahres netto rund 51.500 Arbeitsplätze verloren – fast sieben Prozent. Diese Zahlen markieren eine Trendwende, die nicht nur konjunkturell, sondern strukturell ist.

-7%

Stellenabbau

Die Automobilbranche – einst war Deutschland hier führend – leidet besonders.

 

Parallel zur Beschäftigung schrumpft die Leistung: Im zweiten Quartal sanken die Industrieumsätze um 2,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal – das achte Minus in Folge. Bis auf die Elektroindustrie verzeichneten alle großen Sektoren Rückgänge; in der Autobranche fielen die Umsätze um Minus 1,6 Prozent. Damit verschärfen sich Kostendruck und Investitionszurückhaltung – ein gefährlicher Kreislauf, der die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts belastet.



Warum rutscht die Industrie so stark ab?

Die Ursachen sind vielschichtig – und sie wirken gleichzeitig:

  • Strukturelle Kostenlast: Hohe Energiepreise, zu hohe Steuern und Abgaben drücken Margen und Investitionsspielräume.
  • Regulatorische Komplexität: Langwierige Planungs- und Genehmigungsprozesse verlangsamen Transformation und Kapazitätsaufbau.
  • Handelsrisiken: Zölle und geopolitische Unsicherheiten treffen den exportorientierten Kern der Industrie.
  • Technologieumbruch: Der Wechsel zu E-Mobilität und softwaregetriebenen Plattformen verlagert Wertschöpfung – neue Wettbewerber, insbesondere aus China, erhöhen den Preisdruck.
  • Schwächere Nachfrage: Auftragseingänge bleiben hinter den Erwartungen; viele Unternehmen melden Zurückhaltung bei größeren Investitionen.

 

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Die Autobranche als Epizentrum

Im Automobilsektor bündeln sich die Herausforderungen: Absatzflaute in wichtigen Märkten, Preiskämpfe, hohe Vorleistungen für Elektrifizierung und Software – gleichzeitig greifen Skaleneffekte langsamer als erhofft. Der Verlust von 51.500 Stellen innerhalb von zwölf Monaten ist ein Warnsignal. Hersteller und Zulieferer reagieren mit Effizienzprogrammen, Standortkonsolidierungen und Priorisierung von Zukunftsbereichen wie Leistungselektronik, Batterie-Ökosystemen und Fahrzeugsoftware.

 

Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.

Albert Einstein

Übertragen auf die Wirtschaftspolitik heißt das: Nach insgesamt elf Jahren schwarz-roter Koalitionen seit 2005 wurden viele Strukturen eher verwaltet als erneuert. Wenn wir einen echten Aufschwung wollen, braucht es jetzt einen klaren Politik-Wechsel.

 

Konjunktur vs. Struktur: Was jetzt wirklich hilft

Die Daten deuten auf mehr als nur einen konjunkturellen Dämpfer hin. Vieles spricht für strukturelle Bremsklötze, die gezielt gelöst werden müssen. Ein Zehn-Punkte-Plan kann die Talsohle verkürzen und die Basis für den nächsten Aufschwung legen:

  1. Planungs- und Genehmigungsturbo: Digitale Verfahren, Maximalfristen, „Silence-is-consent“ für standardisierte Projekte.
  2. Energiekosten senken: Umlagen/Netzentgelte für stromintensive Betriebe gezielt reduzieren; Zugang zu langfristigen Grünstrom-PPAs erleichtern.
  3. Unternehmenssteuern modernisieren: Bessere Verlustverrechnung, Entlastung bei Thesaurierung, Vereinfachung im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht.
  4. Schnelle Abschreibungen: Zeitlich befristete Superabschreibungen für Dekarbonisierung, Digitalisierung, KI und Automatisierung.
  5. Fachkräfte sichern: Qualifizierungsoffensive für Engpassberufe, schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse, gezielte Zuwanderung statt Migration in die Sozialsysteme.
  6. Exportbrücken stabilisieren: Handelsdiplomatie gegen neue Zölle; aktive Erschließung wachstumsstarker Märkte (z. B. ASEAN, Indien).
  7. Zukunftsindustrien skalieren: Cluster für Batterien, Halbleiter-Backend, Leistungselektronik und Wasserstoffkomponenten stärken.
  8. F&E-Transfer in den Mittelstand: Förderbausteine für Pilotlinien und Standard-Toolkits (z. B. KI-Baukasten für KMU).
  9. Kapitalmarkt vertiefen: Bürokratiearme Mitarbeiterkapitalbeteiligung, Wachstumsfonds mit privatem Leverage.
  10. Regulierung auf Wirksamkeit prüfen: Sunset-Klauseln und konsequente Evaluationen gegen Überregulierung.

Der 10 Punkte Plan stammt von der Opposition. Doch ausgerechnet die soll jetzt bekämpft werden. Ein klarer Fall von Realitätsverlust.

 

Politische Lage: 100-Tage-Bilanz und der Ruf nach einem Kurswechsel

Die wirtschaftspolitische Debatte ist entsprechend aufgeladen. Viele Industrievertreter sprechen von einer „Herkulesaufgabe“ und fordern schnellere, sichtbare Entlastungen. Die Kritik ist deutlich: Hohe Steuern, hohe Energiepreise und Zölle belasten die Unternehmen; Deutschland gilt als bürokratisch, teuer, unattraktiv.

Aus dieser Perspektive reicht ein „Weiter so“ nicht aus – es braucht eine spürbare 180-Grad-Wende in Richtung Standortentlastung, Planungsbeschleunigung und Technologieoffenheit. Ob man dies als „Versagen“ der ersten 100 Tage bewertet oder als „unzureichenden Start“: Entscheidend ist, dass binnen weniger Quartale konkrete Ergebnisse ankommen – sonst droht eine schleichende Erosion des industriellen Kerns mit Folgen für Wohlstand, Steuereinnahmen und soziale Sicherung.

 

Was Unternehmen jetzt selbst tun können

  • Energie aktiv managen: PPAs prüfen, Lastmanagement heben, Effizienzpotenziale systematisch realisieren, variable Tarife verhandeln.
  • Automatisierung & KI priorisieren: Qualitätsprüfungen, Intralogistik und Disposition datengetrieben automatisieren; Pilotprojekte zügig in Serie bringen.
  • Marktdiversifikation: Abhängigkeiten von einzelnen Regionen reduzieren, Preis-/Produktmix datenbasiert optimieren.
  • Qualifizierung beschleunigen: Upskilling-Pfade (Mechatronik, Leistungselektronik, Software) fest ins HR-Portfolio aufnehmen.
  • Working Capital entlasten: Bestände dynamisch steuern, Zahlungsziele optimieren, Dual-Sourcing bzw. Nearshoring prüfen.




Ausblick

Die deutsche Industrie steht an einem Wendepunkt. Auftrags- und Umsatzschwäche, Stellenabbau und Investitionszurückhaltung sind ein Weckruf – aber keine Zementierung des Niedergangs. Mit konsequenten Standortreformen, realistisch ausbalancierter Energie- und Industriepolitik sowie einem unternehmerischen Push Richtung Automatisierung, Elektrifizierung und neue Exportmärkte ist die Trendumkehr erreichbar. Die nächsten sechs bis zwölf Monate entscheiden, ob aus dem Dämpfer eine Delle – oder eine Dauerkrise – wird.

FAQ: Wie belastbar sind die aktuellen Zahlen?

Die genannten Werte basieren auf einer Branchenanalyse (EY) und amtlichen Statistiken (Destatis): Industriebeschäftigung 5,42 Mio. (–2,1 % J/J), –114.000 Stellen in 12 Monaten; seit 2019 –245.000 (–4,3 %). Industrieumsatz Q2: –2,1 % (achtes Minus in Folge); Autobranche: –1,6 % Umsatz und –51.500 Jobs in 12 Monaten.

FAQ: Trifft der Abschwung alle Branchen gleich?

Nein. Die Elektroindustrie bildet eine wichtige Ausnahme beim Umsatz, viele andere Sektoren – insbesondere die Autoindustrie – verzeichnen deutliche Rückgänge. Region, Produktmix und Exportabhängigkeit beeinflussen die Betroffenheit erheblich.

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Von Chris