Vorbild Großbritannien? Noch vor zwei Jahren war das undenkbar. Die gesamte EU hat Großbritannien belächelt, den Brexit als größten Fehler verurteilt. Austritt aus der EU, politische Unsicherheiten und wirtschaftliche Turbulenzen prägten das Bild.
Doch die Vorzeichen haben sich geändert. Während die deutsche Wirtschaft stagniert, hat sich die britische Wirtschaft stabilisiert und verzeichnet wieder Wachstum. Ein Blick auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zeigt einen deutlichen Trendwechsel: Großbritannien wächst mit 0,4 % und liegt insgesamt bei 1,1 %, während Deutschland mit 0 % stagniert und in der jüngsten Quartalsentwicklung sogar um 0,2 % zurückgegangen ist. Doch was macht Großbritannien besser, und was bedeutet das für die Zukunft?
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Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt
Ein zentraler Faktor für das britische Wachstum ist die Flexibilität des Arbeitsmarktes. In Großbritannien haben Unternehmen vergleichsweise viele Möglichkeiten, auf Marktveränderungen zu reagieren – ob durch flexible Arbeitszeiten, Teilzeitarbeit oder temporäre Verträge. In Deutschland hingegen gibt es strenge Regularien, die die Anpassungsfähigkeit erschweren und somit das Wachstum bremsen können. Die britische Arbeitsmarktpolitik erlaubt es Unternehmen, sich dynamisch zu entwickeln und Beschäftigungsformen anzupassen, was auch Innovationen und eine raschere Erholung in Krisenzeiten fördert.
Anzeichen einer spürbaren Erholung nach dem Brexit
Dank einer geringen Inflationsrate, solidem Lohnwachstum und einem weiterhin angespannten Arbeitsmarkt nimmt das Verbrauchervertrauen in GB zu, was den Konsum anregt. Der Immobilienmarkt, ein wesentlicher wirtschaftlicher Sektor des Landes, zeigt klare Erholungstendenzen. „Großbritannien hat die Schocks der letzten Jahre hinter sich gelassen und befindet sich wieder auf einem stabilen Wachstumspfad“, erklärte Evelyn Herrmann¹, Europa-Volkswirtin bei der Bank of America.
Zusätzlich zu den Krisen der vergangenen Jahre – von der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine über die Energiekrise bis hin zu Chinas schwächerem Wirtschaftswachstum – hatte GB auch den Brexit zu bewältigen. Politische Instabilität im Inland, mit drei Premierministern und vier Finanzministern seit 2022, verschärfte die wirtschaftliche Unsicherheit zusätzlich.
„Inzwischen verfolgt Großbritannien wieder einen traditionelleren wirtschaftspolitischen Kurs. Die Wirtschafts- und Fiskalpolitik ist planbarer geworden – ein entscheidender Faktor für Investoren“, so Herrmann.
Pro Kopf Vermögen in Großbritannien 3x höher als in Deutschland
Das Pro-Kopf-Vermögen in Großbritannien liegt laut aktuellen Studien etwa dreimal höher als in Deutschland. Diese Vermögensdifferenz ergibt sich aus einer Vielzahl von Faktoren, darunter eine stärkere private Investitionskultur, höhere Immobilienwerte und eine ausgeprägtere Kapitalmarktorientierung.
Während in Großbritannien viele Haushalte ihr Vermögen durch Beteiligungen und Immobilienbesitz aufgebaut haben, ist in Deutschland das Vermögen stärker auf Sparanlagen und konservative Investments konzentriert. Hinzu kommt, dass die hohe Steuern in Deutschland den Vermögensaufbau erschweren.
Steueranreize und Investitionen
Ein weiterer Unterschied ist die Steuerpolitik. GB bietet attraktive Steuervorteile für Unternehmen, die in Forschung und Entwicklung investieren, was innovative Startups und Technologiefirmen anzieht. Dies hat positive Auswirkungen auf den Innovationsgrad und die Digitalisierung, die zu den stärksten Wachstumssektoren zählen.
In Deutschland ist die Unternehmenssteuerlast höher, und bürokratische Hürden für Förderungen bremsen potenzielle Investitionen aus. Während Großbritannien gezielt Anreize für zukunftsträchtige Industrien schafft, erscheint die deutsche Wirtschaftspolitik zögerlich und traditionell fokussiert auf Schwerindustrien. Hierunter leidet vor allem das Deutschlands Wirtschaftswachstum.
▶ Bundeswirtschaftsministerium will Startup Factories etablieren
Die Idee, auf den Startup Zug aufzuspringen kommt in Deutschland reichlich spät. Zwar will das Bundeswirtschaftsministerium jetzt Startup Factories ansiedeln. Mit Bürokratie und hohen Steuern werden sich die innovativen Unternehmen jedoch nur schwerlich anlocken lassen.
Wirtschaftsfreundliche Regulierung
Britische Regulierungen sind oft pragmatischer und wirtschaftsfreundlicher gestaltet. Von schnelleren Genehmigungsverfahren bis hin zur geringeren Belastung durch Regularien für Startups – Unternehmen in Großbritannien können ihre Geschäfte schneller und effizienter aufnehmen und ausbauen. Die freundlichen Voraussetzungen wirken wie ein Magnet und ziehen innovative Gründer an.
Deutschland ist im internationalen Vergleich für seine bürokratischen Hürden und langwierigen Verwaltungsprozesse bekannt. Es dauert drei Monate um eine simple Umsatzsteuernummer zu erhalten. Meldungen wie diese schrecken ab. Diese Unterschiede machen sich besonders in technologieorientierten Branchen bemerkbar, die Flexibilität und Innovationsfreiheit verlangen.
▶ Wenn Bürokratie den Gewinn auffrisst
Internationale Ausrichtung und Handelsabkommen
Seit dem Brexit setzt Großbritannien verstärkt auf bilaterale Handelsabkommen, besonders mit den USA und aufstrebenden Märkten. Diese Orientierung bringt einen Wettbewerbsvorteil und trägt zum Wachstum der britischen Wirtschaft bei. Die deutsche Exportwirtschaft ist stark auf die EU angewiesen und ist somit empfindlicher gegenüber Konjunkturschwankungen innerhalb Europas.
Großbritannien hingegen kann in flexiblen Handelsbeziehungen auch neue Märkte erschließen und sich somit unabhängiger vom europäischen Binnenmarkt entwickeln.
Fazit: Perspektiven für die Zukunft
Die derzeitige wirtschaftliche Dynamik Großbritanniens und die Herausforderungen Deutschlands zeigen, wie wichtig es ist, auf Flexibilität und Innovationsförderung zu setzen. Deutschland könnte von den Erfolgsmodellen Großbritanniens lernen, insbesondere in Bereichen wie Steueranreizen für Forschung und Entwicklung, flexiblen Arbeitsmarktstrukturen und einer wirtschaftsfreundlichen Regulierung.
Das Beispiel Großbritannien zeigt, dass eine schnelle Anpassung an Veränderungen den Unterschied machen kann. Für Deutschland gilt es nun, die Reformbereitschaft zu stärken und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben und wieder an Fahrt zu gewinnen.