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Mindestlohn Auswirkungen auf Wirtschaft, Preise und Arbeitsmarkt

Am 27. Juni 2025 empfahl die Mindestlohnkommission eine zweistufige Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland: ab 1. Januar 2026 auf 13,90 Euro und ab 2027 auf 14,60 Euro pro Stunde. Die SPD hatte ursprünglich 15 Euro gewünscht, doch die Kommission verzichtete auf diesen drastischen Schritt – Arbeitsministerin Bas zeigt sich dennoch zufrieden. Doch welche Mindestlohn Auswirkungen kommen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu?

 

Wer oder was ist die Mindestlohnkommission?

Die Mindestlohnkommission ist ein Gremium, das alle zwei Jahre über die Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland entscheidet. Das Gremium ist nicht vom Volk gewählt. Es besteht aus neun Mitgliedern: je drei Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, einem neutralen Vorsitzenden sowie zwei beratenden Wissenschaftlern ohne Stimmrecht. Die Mitglieder werden auf Vorschlag der Tarifparteien durch die Bundesregierung berufen.




Obwohl die Kommission formal unabhängig arbeitet, steht sie unter politischer Beobachtung, da ihre Empfehlungen gesellschaftliche und wirtschaftliche Relevanz haben. In der Praxis bedeutet das: Die Entscheidungen sollen auf wirtschaftlichen Kennzahlen basieren – etwa der Tariflohnentwicklungen und Beschäftigungstrends, doch der politische Druck – etwa durch Forderungen aus Regierung oder Opposition – kann durchaus Einfluss nehmen. Diese Information sollte man im Hinterkopf behalten.

 

Direkte Effekte: Einkommen und Binnennachfrage

a) Einkommenssteigerung im Niedriglohnsektor

Rund 8,6 Mio. Beschäftigte verdienten 2021 weniger als 12 Euro/Stunde, darunter vor allem nicht-tariflich Beschäftigte – zwei Drittel davon Frauen. Eine Erhöhung auf 13,90 Euro bedeutet eine Erhöhung um fast 8 %. Auf 14,60 Euro wären es sogar annähernd 14 % mehr gegenüber dem aktuellen Niveau von 12,82 Euro. Das steigert sowohl das Lohnniveau als auch die reale Kaufkraft vieler Haushalte – ein Impuls für die Binnennachfrage.

b) Preisanstieg bei Konsumgütern

Wirtschaftsmodelle wie NiGEM¹ zeigten, dass eine Erhöhung auf 12 Euro die Inflationsrate beeinflusst. Bei der letzten Erhöhung des Mindestlohns – um ganze +0,25 Prozentpunkte im Frühjahr 2023. Bei einer Erhöhung um 17 % auf 14,60 Euro könnten diese Effekte jedoch deutlich stärker ausfallen – Schätzungen rechnen mit 0,3–0,5 Prozent Inflationsdruck, da höhere Lohnkosten zu Preissteigerungen in Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen führen. Besonders betroffen sind Geringverdiener, die einen hohen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel verwenden – ihre reale Kaufkraft könnte sich dadurch verringern. Das kann bedeuten, dass trotz höherem Gehalt, die Kaufkraft insgesamt sinkt.

0,5%

Mindestlohn Auswirkungen

Ein höherer Mindestlohn führt zu einem allgemeinen Preisanstieg, welcher besonders Geringverdiener belastet.

 

Automatisierung: Chancen und Risiken

a) Verstärkter Einsatz von Automaten und Robotern

Bereits bei früheren Mindestlohnerhöhungen zeichnet sich ein Trend ab: Supermärkte setzen vermehrt auf Selbst-Scan-Kassen, und Restaurants automatisieren an der Kasse. Eine Erhöhung auf 14,60 Euro erhöht die Rentabilität solcher Technologien. In der Landwirtschaft könnten beispielsweise Erntemaschinen oder Ernte-Roboter nun wirtschaftlich interessanter werden.

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b) Beschäftigungseffekte

Eine ZEW-Studie (2011–2016) zeigt, dass Automatisierung zwar kurzfristig gewisse Jobs ersetzt, aber langfristig insgesamt 1–1,8 % Beschäftigungswachstum erzeugte. Gleichzeitig sind jedoch spezialisierte Fachkräfte nötig, um diese Technologien zu betreiben. Gerade in Bereichen mit Fachkräftemangel werden Unternehmen auf qualifizierte Arbeitskräfte setzen – und das wiederum vergrößert die Kluft zwischen Fach- und Nicht-Fachkräften.

Effekte auf Arbeitsmarktstruktur

a) Rückgang von Mini-Jobs

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass jede Mindestlohnerhöhung die Zahl kurzfristiger Mini-Jobs reduziert. Mini-Jobber arbeiten oft weniger Stunden, und bei höheren Löhnen rentieren sich solche Tätigkeiten weniger. Die Folge: Arbeitsplätze werden abgebaut. Die Belastung für die verbliebenen Mitarbeiter steigt. So hat kürzlich der Stern veröffentlicht, dass Arbeitsausfälle auf Grund von Stress einen traurigen Höchststand erreicht haben.

b) Ausbildung statt Praktikum

Bislang wurden Studenten häufig für gering bezahlte Praktika eingesetzt. Der Student konnte lernen, Praxiserfahrung sammeln und ein paar Euro dazu verdienen. Mit 14,60 Euro pro Stunde werden Unternehmen eher auf bereits fertig ausgebildete Facharbeiter setzen, die effizient und ohne Einarbeitungszeit einsatzbereit sind – zu einem geringeren relativen Mehrpreis für das Unternehmen.

c) Fachkräfteanteil im Niedriglohnsektor

Aktuell gehören bereits signifikante Anteile der Niedriglohnbeschäftigten der höher qualifizierten Gruppe an:

 

16%
Vollzeitkräfte unter 12 €
23%
Teilzeitkräfte unter 12 €

 

Laut Hans-Böckler-Stiftung waren 2021 rund 16 % Vollzeitkräfte und 27–35 % Teilzeitkräfte unter 12 Euro/Stunde. Auch Akademiker sind betroffen: Laut Wikipedia hatten 2019 etwa 1,42 Mio. Menschen Mindestlohnjobs – viele davon mit Studium oder Ausbildung. Eine Erhöhung wird diesen Anteil verschieben: Facharbeiter werden durch Mindestlohnjobs verdrängt. Auch Teilzeitkräfte werden leiden, weil viele Firmen auf Grund der gestiegenen Kosten weniger Teilzeitkräfte einstellen werden.

 

4. Gesamtwirtschaftliche Wirkungen

a) Beschäftigung

Kommissionen und Studien (Ökonomen der Hans-Böckler-Stiftung, SVR, OECD) kommen zu dem Schluss, dass moderate Mindestlohnerhöhungen keinen signifikanten Beschäftigungsrückgang verursachen. Selbst starke Erhöhungen wie 2022 (+22 %) führten zu keinen signifikanten negativen Effekten auf reguläre Beschäftigung, maximal bei Minijobs.

b) Beschäftigungseffekte im Niedriglohnsektor

Die Einführung des Mindestlohns senkte den Anteil von Niedriglohnbeschäftigung von 23,5 % (2007) auf 15,2 % (2022). Eine weitere Erhöhung konsolidiert diese Entwicklung – kann jedoch zusätzliche Automatisierungseffekte verstärken.

c) Fachkräftemangel

Die Arbeitslosenquote im Mai 2025 lag bei 6,2 Prozent. Von Fachkräftemangel kann keine Rede mehr sein. Lediglich wenige Engpassberufe vor allem im Handwerk und Gesundheitswesen sind weiterhin vom Mangel betroffen. Automatisierung kann helfen, Lücken zu schließen – qualifizierte Techniker werden jedoch weiterhin benötigt. Eine Mindestlohnerhöhung könnte diesen Trend verstärken: weniger einfache Jobs, mehr Tätigkeiten werden von KI ersetzt.




5. Wer trägt die Folgen?

Gruppe Positive Effekte Negative Effekte
Niedrigverdiener Höheres Stundenentgelt Preise steigen, weniger Kaufkraft, Verlust von Jobs.
Studenten und Praktikanten Lohnsteigerung Unternehmen werden weniger Praktika anbieten. Eingeschränkte Ausbildungsoptionen.
Unternehmen / KMU Mehr Konsumenten Höhere Kosten, Automatisierungsdruck. Arbeitsplätze ins Ausland verlagern.
Gesamtwirtschaft Stärkere Binnenkonsumnachfrage, Innovation Kurzfristige Inflation, Anpassungsdruck

Politische Einordnung

Arbeitsministerin Bas bewertet die Empfehlung positiv – sie sieht sie als ausgewogenen Kompromiss zwischen Beschäftigung und sozialer Gerechtigkeit. SPD-nahe Kreise bemängeln das Verfehlen der 15-Euro-Marke, sehen aber ein, dass die Kommissionslösung politisch realistisch und wirtschaftlich tragbar ist.

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Ist der Mindestlohn wirklich sozial?

Die Mindestlohn Auswirkungen sind gravierend – und genau darin liegt das zentrale Spannungsfeld des Mindestlohns: zwischen sozialem Schutz und ökonomischer Realität.

Mindestlohn – sozial gedacht, mit unbeabsichtigten Folgen?

Ja, der Mindestlohn ist sozial gedacht: Er soll Menschen vor Armut trotz Arbeit schützen und einen fairen Lohn garantieren.

Aber: Wenn er zu schnell oder zu stark steigt, kann es zu negativen Nebeneffekten kommen:

1. Rationalisierung

  • Höhere Löhne erhöhen die Personalkosten.
  • Unternehmen investieren schneller in Automatisierung – z. B. Selbstbedienungskassen statt Kassierer.
  • Niedrigqualifizierte Jobs können verschwinden – und genau die sollten eigentlich geschützt werden.

2. Auslagerung ins Ausland

  • In lohnintensiven Branchen (z. B. Textil, einfache Produktion, Callcenter) kann ein hoher Mindestlohn zur Verlagerung ins Ausland führen.
  • Besonders betroffen: kleine und mittlere Unternehmen ohne große Gewinnmargen.

3. Benachteiligung bestimmter Gruppen

  • Jugendliche, Praktikanten, Geringqualifizierte oder Studenten werden bei hohem Mindestlohn seltener eingestellt.
  • Arbeitgeber bevorzugen dann erfahrenes Personal oder setzen auf Technik.

 

Ist das also unsozial?

Nicht unbedingt. Es kommt auf das Maß und die Begleitmaßnahmen an:

  • Ein moderater, gut abgestimmter Mindestlohn kann soziale Sicherheit bieten und wirtschaftlich verkraftbar sein.
  • Doch ohne flankierende Maßnahmen (z. B. Qualifizierungsangebote, KMU-Förderung, Innovationsanreize) kann der Effekt umschlagen – und jene treffen, die eigentlich geschützt werden sollten.
  • Die Mindestlohn Auswirkungen können ganze Branchen vernichten. Anpassungen des Mindestlohns sollten deshalb nur in Wirtschaftlich starken Zeiten erfolgen. Idee: wenn es der Wirtschaft gut geht, sollten die Mitarbeiter daran Teil haben.

 

Bedeutet…

Der Mindestlohn ist sozial in der Absicht, aber nicht automatisch sozial in der Wirkung. Seine Auswirkungen hängen stark ab von:

  • der konkreten Höhe
  • dem Zeitpunkt der Einführung
  • den betroffenen Branchen
  • den politischen Begleitmaßnahmen

Eine kluge Mindestlohnpolitik braucht deshalb mehr als nur Zahlen – sie braucht auch Weitblick, Realismus und soziale Verantwortung.

 

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Von Chris